Der Archivar bringt Urkunden zum Sprechen
Von Hans-Robert Ammann
In den Dokumenten des Spätmittelalters werden für das Gebiet von Aroleyt erstmals Gebäude, Personen und Flurnamen schriftlich fassbar. Häuser, Scheunen und Ställe, Speicher und Stadel, Wiesen und Äcker, die ganzjährig besiedelten Orte Furi, Fleschen, zum See, Blatten und die Namen der hier wohnenden Familien finden wir schon in Urkunden aus der Zeit zwischen 1400 und 1500. Doch sind die Handschriften dieser Pergamente für uns kaum lesbar – und zudem in Latein verfasst!
Zum Glück sichtete der frühere Staatsarchivar Hans-Robert Ammann (Sitten) die einschlägigen Dokumente für das Gebiet von Aroleyt. Dabei transkribierte er Wort für Wort, übersetzte den Text ins Deutsche und stellt uns im Folgenden eine Zusammenfassung der aufschlussreichen Resultate zur Verfügung – herzlichen Dank.
Das Gebiet von Aroleyt gehörte spätestens seit der Mitte des 15. Jahrhunderts grösstenteils zur Grundherrschaft der adeligen Familie Esperlin von Raron. Die Mehrheit der Aroleyter war somit der Gerichtsbarkeit dieser Familie unterstellt. Für die Lehen (einzelne Gebäude und Grundgüter) schuldeten die Bauern der adeligen Familie jährlich bescheidene Geldabgaben.
So sind denn in den zugunsten der Familie Esperlin um die Jahreswende 1448/49 aufgenommenen Lehensanerkennungen für das Gebiet von Aroleyt mehrere Wiesen, Äcker, Häuser, Stallscheunen und Stadel aufgeführt. Wir finden unter anderem Lehensgüter an den hier berücksichtigten Orten Furi, Fleschen, zum See und Blatten. Die hier folgenden, aus dem Lateinischen übersetzten Auszüge stammen alle aus demselben Dokument, das unter der Signatur F2 im Pfarrarchiv Zermatt liegt.
Furi
Drei Lehenserkanntnisse von Dezember 1448 / Januar 1449 mit Erwähnung von Gebäuden; darunter befinden sich auch drei Wohnhäuser:
1. Johann, Sohn des Jakob Schuler (Scolaris) von Aroleyt, anerkennt für seinen Vater und seinen Bruder Hans, dass diese von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese mit Acker „uffen der Furun“ zu Lehen haben, „mit Haus, Stube, Scheune, Ställen und allen darauf stehenden Gebäuden.“
2. Jennin Uffen dyen Furun von Aroleyt anerkennt mit seinem Sohn Martin, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „uffen der Furun“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stube, Scheune, Ställen und allen Gebäuden“; ferner eine Wiese genannt „under Furyn“, mit darauf liegender Stallscheune.
3. Andreas, Sohn des Johann Rudon, und seine Brüder Martin und Stefan anerkennen für sich und ihre abwesenden Brüder Wilhelm, Clemens und Peter, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „uffen der Furun“ zu Lehen zu haben, „mit darauf stehendem Haus sowie mit Stallscheune und Stadel.“
Fleschen
Für das Gebiet Fleschen finden sich im Dezember 1448 / Januar 1449 zwei Lehenserkanntnisse mit Erwähnung von Bauten, darunter zwei Häuser:
1. Johann Uf der Furun von Aroleyt anerkennt, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese oder einen Acker „in dien Floeschen“ zu Lehen zu haben, „mit darauf stehendem Haus, mit Stube, Stallscheune und zwei Stadeln.“
2. Henslin und Johann, Söhne des verstorbenen Hilarius Bunder, anerkennen in ihrem und ihrer Brüder Peter und Anton Namen, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „in Aroleit in dien Floessen“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stube, Stallscheune und allen darauf stehenden Gebäuden.“
zum See
In den Lehenserkanntnissen von Dezember 1448 / Januar 1449 sind für den Ort zum See am meisten Gebäude von allen Aroleyter Siedlungen aufgeführt; darunter befinden sich sechs Häuser:
1. Johann, Sohn des Jakob Schuler (Scolaris) von Aroleyt, anerkennt für seinen Vater und seinen Bruder Hans, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese und einen Acker „zem Sew“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stube, Stallscheune und darauf stehenden Gebäuden.“
2. Derselbe Johann, Sohn des Jakob Schuler (Scolaris) von Aroleyt, anerkennt für sich selbst, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „zem Sew“, genannt „Wildin“, zu Lehen zu haben, „mit Stallscheune und allen dazugehörigen Höfen und Hofstätten.“
3. Die Söhne und Enkel des Johann, des Sohns des verstorbenen Peter Brantschen alias Grawin, anerkennen, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese und einen Acker „zem Sew, ob dien Achren“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stube, Stallscheune, einem Stadel und Höfen.“
4. Hildebrand Grawis und Nikolaus Grawis, Sohn des verstorbenen Nikolaus Grawis, des Sohns des Johann Petri Brantschen, anerkennen je zur Hälfte, von den Edlen Esperlin eine Wiese „zem Sew“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stube, Scheune, einem halben Stadel, mit dazugehörigen Gebäuden, Hofstätten und Höfen.“
5. Nikolaus, Sohn des verstorbenen Nikolaus Grawis, des Sohns des Johann Petri Brantschen, anerkennt für sich und seine Geschwister, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „zem Sew“ zu Lehen zu haben, „mit Haus, Stallscheune, einem Stadel und allen darauf stehenden Gebäuden.“
6. Henslin Schuler (Scolaris), Sohn des verstorbenen Nikolaus Schuler von Aroleyt, anerkennt, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „zem Sew, genannt Eggerda“, zu Lehen zu haben, sowie „ein Haus mit Stube, Hofstätten und Höfen.“
7. Johann Schuler (Scolaris), Sohn des verstorbenen Nikolaus Schuler, anerkennt, von den Edlen Esperlin unter anderem „ein Haus mit Stube, einen Stadel und dazugehörige Gebäude zem Sew“ zu Lehen zu haben.
Blatten
Für Blatten gibt es im Dezember 1448 / Januar 1449 zwei Lehenserkanntnisse mit Angabe von Gebäuden, worunter zwei Häuser:
1. Martin, Sohn des verstorbenen Henslin Uffen dyen Furun von Aroleyt, anerkennt für sich und seine Brüder Hans und Johannnin, von den Edlen Esperlin unter anderem „ein Haus, eine Stube und Scheune uffen dyen Blatton“ zu Lehen zu haben.
2. Johann und Hans, Söhne des verstorbenen Wilhelm Uffen dien Blatton, anerkennen, von den Edlen Esperlin unter anderem eine Wiese „uffen dyen Blatton“ mit „Haus, Stube, einer Stallscheune, einem Stadel und dazugehörigen Höfen und Gebäulichkeiten“ zu Lehen zu haben.
Zum Vergleich lassen wir hier Auszüge aus der Häuserliste von 1540 folgen.
Die Häuserliste von 1540
Die Feudalrechte der adeligen Familie Esperlin gelangten 1515 durch Kauf an den nachmaligen Landeshauptmann Hans Werra von Leuk. Diese Rechte umfassten die Gerichtsbarkeit und die grundherrlichen Abgaben der halben Talschaft Zermatt. Die Erben Hans Werras verkauften sie 1538 ihren Untertanen, die damit ihre volle Freiheit erlangten.
1540 gaben sich die so frei gewordenen Haushaltungen von Zermatt eigene Satzungen, gemäss denen sie das Gerichtswesen fortan selbst organisierten und durch einen eigenen Meier verwalten liessen. In diesem lateinischen Dokument, das sich im Staatsarchiv in Sitten befindet (Signatur AV 70bis, Zermatt, 1540), sind für das gesamte Gebiet von Aroleyt 41 Häuser (domus) aufgeführt. Es folgen hier in deutscher Übersetzung die Namen der Hausbesitzer (Haushaltungen) in Furi, Fleschen, zum See und Blatten.
Furi (3 Haushaltungen):
Das Haus der Erben des verstorbenen Johann Rudun, Schmieds, gelegen „uffum Furi“;
Das Haus der Erben des verstorbenen Johann Furer „uffum Furi“;
Das Haus der Erben des verstorbenen Jakob Schuler (Scolaris) „uffum Furi“.
in den Fleschen (3 Haushaltungen) :
Das Haus der Erben des verstorbenen Johann Furer „in den Fleschun“; Das Haus der Erben des verstorbenen Martin Furer „in den Fleschun“; Das Haus der Erben des verstorbenen Peter Binder „in den Fleschun“.
zem See (5 Haushaltungen):
Das Haus der Erben des verstorbenen Clemens Schuler (Scolaris) zem See; Das Haus der Erben des verstorbenen Jakob Schuler (Scolaris) zem See; Das Haus des Peter Graven (Grawun) zem See; Das Haus des Peter Furer zem See; Das Haus der Erben des verstorbenen Jakob Schuler (Scolaris) zem See.
Es ist nicht auszumachen, ob es sich hier um zwei verschiedene Erbengemeinschaften „Jakob Schuler“ mit je eigenem Haus handelt oder um ein und dieselbe Erbengemeinschaft, die über zwei verschiedene Häuser zem See verfügte.
Blatten (3 Haushaltungen):
Das Haus der Erben des verstorbenen Jans Uff den Blattun am Aroleyt; Das Haus der Erben des verstorbenen Stefan Uff den Blattun am Aroleyt; Das Haus der Erben des verstorbenen Jannin Uff den Blattun am Aroleyt.
Vergleicht man nun die Anzahl Häuser und Hausbesitzer von Furi, in den Fleschen, zem See und Blatten aus den Jahren 1448/49 mit den Belegen des Jahres 1540, so fällt auf, dass es sich 90 Jahre später praktisch um gleich viele Häuser und um die gleichen Familiennamen handelt; es herrschte grosse Kontinuität beziehungsweise Stabilität, wie die Details zeigen:
Furi
Namen: Ruden, Uffen dyen Furun/Furer, Schuler. – Wohnhäuser: 1448/49: 3 Häuser // 1540: 3 Häuser.
in den Fleschen
Namen: Uf der Furun/Furer, Bunder/Binder. – Wohnhäuser: 1448/49: 2 Häuser // 1540: 3 Häuser.
zem See
Namen: Schuler, Brantschen alias Graven, 1540 zusätzlich noch Furer. – Wohnhäuser: 1448/49: 6 Häuser // 1540: 5 Häuser.
Blatten
Namen: Uffen dien/Uff den Blatten, 1448/49 ist noch der Name Uffen dyen Furun aufgeführt, der 1540 fehlt. – Wohnhäuser: 1448/49: 2 Häuser // 1540: 3 Häuser.
Die 27 weiteren unter Aroleyt aufgeführten Häuser oder Haushaltungen befanden sich 1540 an folgenden Orten, hier in der Reihenfolge des Dokuments genannt: 5 Haushaltungen ze Schweigmatten; je 1 Haushaltung an der Eggen und in den Bechen; 4 Haushaltungen zer Briggen; 2 Haushaltungen an den Matten; je 1 Haushaltung an den Halten, in der Schluocht, an den Brachun, in der Engin, im Than, uff der Engilschun, in der Gassun; 2 Haushaltungen in der Semattun; je 1 Haushaltung im obren Mos,
„am Stutzli“ und „ob dem Stutzli“. Zudem werden noch zwei weitere Häuser am Aroleyt genannt, allerdings ohne nähere Lagebezeichnung.
Die Gerichtsbarkeit war somit an die Häuser oder Haushaltungen gebunden. Man kann sich hierbei fragen: Ist unter dem Begriff „domus“ ein Einzelhaus zu verstehen oder handelt es sich dabei eher um eine Sippe, deren Mitglieder über mehr als die hier aufgeführten Häuser verfügt haben könnten?