21.10 Ein Turmspeicher


 

Die Vorräte auftürmen

Der östliche Rand des Weilers hiess im Dialekt wohl einst ze üssre Schpiichre, bei den talaus gelegenen Speichern. Dies dürfte im Verlauf der Generationen zum Flurnamen Üs-Schpiichre geführt haben. Hier steht an erhöhter Stelle heute noch ein kleiner, markanter Speicher. Seine Räume messen gerade mal 2,4 x 2,4 m. Mit 5.8 m² Fläche haben wir einen bescheidenen Vorratsbau vor uns. Es handelt sich um einen der kleinsten Speicher auf dem gesamten Kulturweg.

 

Der Speicher wurde gemäss der 2022 durchgeführten dendrochronologischen Untersuchung im Jahre 1724 in einem Arbeitsschritt erbaut. Speicher sind immer ein Hinweis auf dauerhaft besiedelte Plätze: Wir dürfen annehmen, dass der Weiler zum See damals ganzjährig bewohnt war. Noch um 1800 gab es rund um Zermatt elf bewohnte Weiler.

 

Der Unterbau liegt nahe der Erde und wird am ehesten von der Feuchtigkeit zersetzt. Erneuert man ihn dann nicht, kippen die Bauten mit der Zeit zur Seite oder stürzen sogar um. Auch hier wurden der Schwellenkranz und die auf ihm ruhenden Stützel kürzlich in frischem Lärchenholz ersetzt.

 

Spannend ist folgende Eigenheit: Der untere Balkenkranz, im Dialekt dr Aschpannr (der Anspanner) genannt, ist 12 bis 13 cm stark. Die Wandhölzer darob aber messen nur 5 bis 6 cm. Am Obergeschoss beobachten wir dasselbe: Das Kantholz an der Basis ist massiv ausgeführt, die Wände wiederum sind dünn. Auch der westlich angrenzende Nachbarbau (GIS 3142 / Gebäude Nr. 2050) ist so konstruiert: Die Kanthölzer, in welche die Bodenbretter eingenutet sind, messen 14 bis 17, die Wände nur noch 5 bis 8 cm.

 

 

Labornummern Dendrosuisse 2022: 621408-411 vom 28. Juli 2022

Koordinate 2 622 768 / 1 095 024

Parzellennummer GIS 3143, Gebäudenummer 2051 bzw. Nr. 83


Sparrmassnahmen?

Dünnes Wandholz – eine Zermatter Erscheinung?

In der Region Aroleyt stiessen wir auf nunmehr vier Gebäude, deren Wandholz nur die Hälfte der üblichen Dicke aufweist; es sind die dendrodatierten Bauten

1584 Speicher bei der Kapelle im Weiler zum See (Seite 155f.)

1687 Stadel-Speicher an der Geländekante westlich des Weilers zum See (Seite 153)

1699 hochgebockter Speicher am Ort Furi (Seite 117f.)

1724 Speicher am östlichen Rand des Weilers Zum See (Seite 166f.)

 

Im Weiler Blatten werden wir einen fünften und sechsten dünnwandigen Bau antreffen: ein Stadel (dendrodatiert 1569, Seite 177) und ein Stadel-Speicher (dendrodatiert 1712, Seite 192). Die beiden Bauten liegen zeitlich im Rahmen der bisher bekannten dünnwandigen Gebäude. Typologisch stossen mit ihnen aber neu die Stadel hinzu.

 

Gemäss den Dendrodaten – keines der Gebäude trägt eine Inschrift – verteilt sich das Phänomen der dünnen Wandbäume auf einen Zeitraum von 140 Jahren. Ohne Zweifel würde eine fokussierte Suche im Feld noch weitere Bauten eruieren, die anschliessend zu dendrodatieren wären.

 

Was sich bisher sagen lässt: Bei den inzwischen bekannten und hier erstmals datierten Bauten haben wir in allen Fällen Speicher vor uns. Unter all den traditionellen Bautypen stellen sie die kleinsten Gebäude. An ihnen lässt sich am ehesten Bauholz einsparen: Halbierte Kanthölzer riskieren bei diesen Kleinbauten kaum auszubiegen, die Statik bleibt gewährleistet.

 

Der Grund für diese Sparmassnahme ist kaum einem einzelnen Ereignis zuzuordnen, sondern zeugt von einer andauernden Problemlage: Holzmangel bzw. drohende Übernutzung der Wälder waren eine über Generationen anhaltende Erscheinung, die auch die Baumaterialien verknappte.


Maria Schuler (1924–2000) trägt im Rückenkorb Mist auf die Mähwiesen, zerkleinert ihn danach mit der Gabel und verteilt ihn. Kinder und Jugendliche hatten bei allen Arbeiten mitzuhelfen, oft bis an den Rand ihrer Kräfte. Im Hintergrund die Siedlung Zum See mit den Fluren d vodru Achre und d hinnru Achre (die vorderen und die hinteren Äcker. Foto Furter Davos, um 1940).